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Laufende Projekte

Projekte am Zentrum für Mittelmeerstudien

Die aktuellen Projekte des Lehrstuhls sind hauptsächlich am Zentrum für Mittelmeerstudien (ZMS) angesiedelt. Eine vollständige Übersicht finden Sie auf der Website des Zentrums.

Projekte am ZMS
Die venezianische Armee auf osmanischem Boden 1684-1718. Translokalisierung, Kriegserfahrung, Transkulturation

Bearbeiter: Dr. Andreas Helmedach

Ziel des im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 1981 „Transottomanica: Osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken“ durchgeführten Projektes ist die Untersuchung und Darstellung der Kriegserfahrung der Soldaten der venezianischen Armee in den von ihr eroberten, besetzten und zum großen Teil wieder verlorenen osmanischen Gebieten Dalmatiens, Albaniens und Griechenlands in den nach dem italienischen Namen der Peloponnes sogenannten beiden Moreakriegen 1684-1699 und 1715-1718. Mit der Erforschung des migrationsgeschichtlichen Grundtatbestandes militärischer Reisen im südosteuropäischen Raum soll die "Mobilitätslinse" zur Erhellung transkultureller Entwicklungen genutzt werden. Auch für die militärische Form des Reisens gilt, dass sie nicht nur eine Verknüpfung von Abreise- und Endpunkt, sondern das Durchqueren von Räumen und dabei entstehende Prozesse von Translokalisierung und Transkulturation umfasst. Diese bildeten wohl zu allen Zeiten konstituierende Elemente der Kriegserfahrung der von ihnen betroffenen Soldaten und anderen Kriegsteilnehmer.
Wie haben die Bedingungen der Feldzüge im osmanischen Südosteuropa Alltag, Wahrnehmung und Erfahrung des Krieges aus der Sicht der Soldaten geprägt? Im Fokus soll dabei die Lebenswelt von Offizieren, Unteroffizieren und einfachen Soldaten stehen; es geht um ihren Alltag bei der An- und Abfahrt zum Kriegsschauplatz, bei Garnisons-, Lager- und Felddienst, um die Begegnung mit der Zivilbevölkerung (nicht zuletzt mit Frauen), um die Erfahrung, Deutung und Verarbeitung von Kampf und Gewalt, von Desertion, Gefangenschaft, Sklaverei und (gegebenenfalls) Ranzionierung, von Krankheit, Verwundung und Tod. - Das Osmanische Reich, in dem sie "Migrationen als transkulturelle Verflechtungen" erlebten, war dabei die Erfahrungs- und Diskurs"folie" dieser Männer, mit der sie ihre mitgebrachten Vor- und Einstellungen abgleichen, in dem sie neue Interaktions- und Kooperationsmuster mit "ihresgleichen" in der ethnisch und religiös heterogenen venezianischen Armee und den - im Normalfall wie sie selbst ebenfalls ethnisch, religiös und von der sozialen Herkunft her heterogenen - "Einheimischen" finden mussten. Gerade der Krieg unter den Rahmenbedingungen der Frühen Neuzeit erzwang eine besondere Intensität nicht nur von Interaktion überhaupt, sondern (abseits des Gefechtes) auch von Kooperation mit den "Anderen", den Menschen des "Feindes".

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DFG-Schwerpunktprogramm „Transottomanica: Osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken“

Gesellschaftliche und (trans)kulturelle Verflechtungen zwischen dem Moskauer Reich bzw. Petersburger Imperium, Polen-Litauen, dem Osmanischen Reich sowie Persien von der frühen Neuzeit bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind bisher nicht systematisch untersucht worden. Mit dem Augenmerk auf durch Mobilität entstandene „transosmanische“ Interaktionsfelder zwischen diesen Herrschaftsgebieten sollen im großräumigen Zusammenhang Phänomene erkennbar werden, die bisher in der Betrachtung einzelner Regionen oder nur bilateraler Beziehungen nicht in den Vordergrund getreten sind. Der auch methodisch neue Zugang verspricht, unser Verständnis globalisierter europäischer und asiatischer Geschichte im transkontinentalen Zusammenhang zu verändern. Zudem können wir mit dieser Fragestellung den wissenschaftlichen Austausch zwischen mehreren Wissenschaftsdisziplinen intensivieren, die bisher öfter parallele als gemeinsame Wege gegangen sind. Anstatt „eine“ Region zu konstruieren, rücken wir mehrere Handlungs- und Diskurszusammenhänge durch den gemeinsamen Zugriff über die Linse Mobilität ins Zentrum des Interesses. Unsere ‚postregionalwissenschaftliche‘ Perspektive erlaubt dabei eine Orientierung an konkretisierten, durch das Erfahren, Imaginieren und Handeln von Menschen in jeweils thematisch definierten Kontexten konstituierten, nicht deckungsgleichen Räumen: Wir konzentrieren uns auf Vorgänge der Migration, der Wissenszirkulation, des Reisens, des Handels und der Mobilität ganzer Gesellschaften zwischen dem Zarenreich, Polen-Litauen, dem Osmanischen Reich und Persien in relationalen sozialen Räumen mit jeweils stark unterschiedlicher Reichweite. Da wir uns auf wissenschaftlich unentdecktem Terrain bewegen, betreiben wir mit den geplanten Forschungsschneisen vorerst Grundlagenforschung. Auf der Basis der Ergebnisse der ersten Phase sollen für eine zweite Phase Methodenwerkzeuge für ein neues Theoriedesign entwickelt werden, das den spezifischen Anforderungen unseres Forschungsgegenstandes Rechnung tragen soll. Der Untersuchungszeitraum des beantragten Schwerpunktprogramms beginnt im frühen 16. Jahrhundert, als sich das Osmanische Reich durch die Expansion im nördlichen und östlichen Afrika, den Eroberungen in Ostmitteleuropa und der Machtausdehnung im Nahen und Mittleren Osten zur überregionalen Drehscheibe „transosmanischer“ Interaktionszusammenhänge entwickelte. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde das ins Zentrum gerückte Gebiet jedoch in veränderte bzw. neue Kommunikations- und Handlungsräume integriert, als die europäischen Großmächte ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss zunehmend ausbauen konnten. Die Mobilitätsdynamiken- und Strukturen ließen transosmanische Raumkonfigurationen an Bedeutung verlieren und in zunehmend globale und nationalisierte Kontexte auf- und übergehen. Das Programm verfolgt diese Übergänge bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts
Dem Programmausschuss gehören an:
Prof. Dr. Stefan Rohdewald (GiZo, Historisches Institut, Osteuropäische Geschichte, JLU Gießen/Sprecher)
Prof. Dr. Stephan Conermann (Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Abteilung Islamwissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn)
Prof. Dr. Albrecht Fuess (Centrum für Nah- und Mittelost-Studien, Islamwissenschaft, Philipps Universität Marburg)
Prof. Dr. Markus Koller (Geschichte des Osmanischen Reichs und der Türkei, Ruhr-Universität Bochum)
Prof. Dr. Suraiya Faroqhi (İstanbul Bilgi Üniversitesi, Department of History, Istanbul)

Vom Aufständischen zum Räuber und viceversa – Gewaltgemeinschaften im westlichen Balkanraum im 17. und 18. Jahrhundert

Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Dr. Andreas Helmedach

Das Teilprojekt, das in die Forschergruppe „Gewaltgemeinschaften“ eingebunden ist, richtet den Fokus auf die Räuberbanden in den „staatsfernen“ Regionen des westlichen Balkanraumes, worunter im Rahmen dieses Projektes Teile der im 17. und 18. Jahrhundert zum Osmanischen Reich gehörenden bosnischen, herzegowinischen und montenegrinischen Gebiete sowie das venezianische Dalmatien verstanden werden. Zwei Kategorien von Briganten lassen sich dort unterscheiden. Eine erste Gruppe besteht aus Räubern, die in zeitlich befristeten „Lebensgemeinschaften“ (četa) als Gewaltakteure insbesondere im bosnisch-herzegowinisch und montenegrinischen Raum in Erscheinung traten. Es handelte sich um Bünde, die in die Gesellschaft partiell integriert waren und deren ausgeprägte hierarchische Struktur ihnen ein besonderes Gepräge verlieh. In ihnen verband sich die Ausübung von Gewalt mit dem Wertesystem einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung. In der nationalen Geschichtsschreibung der Balkanstaaten, die sich vorwiegend auf die Aussagen der Volksepik stützt, werden diese als Hajduken bezeichneten Räuber vor allem als Widerstandskämpfer gegen die osmanische Herrschaft interpretiert. Die zweite Kategorie besteht aus Räuberbanden, die nicht dem System der čete zuzuordnen sind. Bei diesen Zweckgemeinschaften mit größerer Fluktuation und größerer Heterogenität scheint die Ausübung physischer Gewalt ausschließlich als Mittel zur Aneignung materieller Ressourcen gedient zu haben. Zu fragen ist nach der inneren Struktur beider Typen von Gewaltgemeinschaften, nach den Bedingungen ihres Entstehens und Vergehens sowie nach der Einbettung der Banden wie auch ihrer einzelnen Mitglieder in die gesellschaftliche Ordnung. Bisher von der Forschung kaum berücksichtigtes venezianisches Quellenmaterial aus den Archiven von Zadar (Kroatien)und Venedig wird Einblicke in die Innenwelten der erwähnten Gewaltgemeinschaften ermöglichen.

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Abgeschlossene Projekte

Bibliographische Datenbank zur Geschichtsschreibung im Osmanischen Europa (15.–18 Jh.)

Die geplante Datenbank beabsichtigt die erste umfassende Bibliographie zur frühneuzeitlichen Geschichtsschreibung im osmanischen Teil Europas zu erarbeiten und dauerhaft der historischen Forschung verfügbar zu machen. Im Rahmen einer weitestgehend von religiösem Schrifttum geprägten Kultur nahm die vielsprachige Historiographie innerhalb des Osmanischen Reichs einen zentralen Bereich säkularer Schriftlichkeit ein und wird daher als Quelle erster Güte zur Erforschung der Sozial- und Kulturgeschichte, aber auch der intellektuellen Verflechtungsgeschichte innerhalb der Kulturkreise des osmanischen Teil Europas sowie dessen Austausch mit dem mediterranen und mitteleuropäischen Raum herangezogen.
In dem Vorhaben werden nun zum ersten Mal sämtliche historiographische Texte unter Berücksichtigung aller Schriftsprachen des osmanischen Europas im Zeitraum von ca. 1500 bis ca. 1800 berücksichtigt und in einer integrierten Bibliographie zusammengeführt. Die vertiefte bibliographische Erschließung der äußerst verstreuten und schwer verfügbaren Texte soll die Recherche des Materials in seiner Gattungs- und Sprachenvielfalt ermöglichen, die textlichen Verflechtungen und Abhängigkeitsbeziehungen kenntlich machen sowie den aktuellen Editionsstand (sei es in gedrucktem oder digitalem Format) abbilden. Der Zugriff auf die Datenbank wird über die Webseite des Zentrums für Mittelmeerstudien an der Ruhr-Universität Bochum sichergestellt, das einen ausgewiesenen Schwerpunkt auf der Zirkulation von kulturellem Wissen hat und eng mit dem Lehrstuhl für die Geschichte des Osmanischen Reiches und der Türkei an der Ruhr-Universität Bochum zusammenarbeitet.
Der Frühneuzeitforschung zum südöstlichen und mediterranen Europa wird langfristig ein zentrales und bequem aktualisierbares Arbeits- und Forschungsinstrument zur Vefügung gestellt, das sich perspektivisch zu einem Forschungsportal ausbauen lässt, das Bibliotheken, Forschungsinstitutionen und WissenschaftlerInnen international miteinander vernetzt. Von der geplanten „Bibliographischen Datenbank zur Geschichtsschreibung im Osmanischen Europa (15.–18 Jh.)“ wird damit nicht nur eine Signalwirkung auf eine noch weitgehend disparate Forschungslandschaft erwartet, vielmehr stellt sie bereits selbst einen entscheidenden Schritt in Richtung einer komparativ angelegten Forschung dar, die das osmanische Europa als einen kultur-, sprach- und religionsübergreifenden Raum versteht.

Die Website der Universitätsbibliothek zu diesem Projekt ist aufrufbar unter:
http://www.ub.ruhr-uni-bochum.de/projekte/osmanisches_reich.html

Turkish foreign policy and pro-Turkish activism in Bosnia and Herzegovina: Discourse and Actors (2002-present)

Postdoktorand: Dr. Dino Mujadžević (Forschungssprache: Englisch)

In scope of my research project funded by Alexander-von-Humboldt Foundation I focus on the use of the academic and media discourses in Bosnia and Herzegovina related to Turkish foreign policies and pro-Turkish activism since the advent of AKP to power in Turkey in 2002 by relying on the theoretical approach known as Critical Discourse Analysis. The quantitative side of the research relies on the corpus-driven approach and the use of the text-mining software tools. Several scholars use the term "Neo-Ottomanism" to describe the new foreign policy of the conservative AKP government, which uses Ottoman historical legacy to justify Turkish foreign policy activities in formerly Ottoman areas. Bosnia and Herzegovina with its large Muslim population and its legacy of recent wars has a special symbolical importance for this discourse and it is able to provide it with the supporting network. Others, including Turkish government and its supporters, reject this term. My research goes beyond the purely foreign policy implications of Turkish presence in Bosnia and Herzegovina and beyond the disputed „Neo-Otomanism“ concept itself in order to look at the interactions of the related Turkish and local Bosnian discourses and social networks and their implications for the identity politics of Bosnian Muslims. As sources for my research I use the textual and other material of Turkish state and non-state actors and their allies produced in the Bosnian academia (books, articles, papers) and media (newspapers, TV, online services etc.), as well as interviews.

Identitätskonstruktionen von Roma, Ashkali und Ägyptern im Kosovo

Bearbeiterin: Claudia Lichnofsky

Während der 1990er Jahre stieg der Nationalismus durch die Kriege in Ex-Jugoslawien an, was sich auch auf Minderheiten auswirkte. Sie konnten nicht auf ein Vaterland verweisen das hinter ihnen stand, wie es Serben, Kroaten und Albaner konnten. Während des Zerfalls Jugoslawiens entstanden neue Identitäten wie die Ägypter und Ashkali im Kosovo, die weder zur einen noch zur anderen Seite gehören wollten.
Nach der NATO-Intervention 1999 erlangte die albanische Mehrheit die Regierungsmacht und kontrollierte den größten Teil des Kosovo, mit Ausnahme der serbischen Enklaven, und kooperierte mit den UN-Institutionen. Kurz nach dem Krieg wurden Roma, Ashkali und Ägypter (RAE) von albanischer Bevölkerung unter den Augen der KFOR vertrieben aufgrund von Gerüchten, dass sie mit den Serben kollaboriert hätten. Die albanische Bevölkerung differenzierte also nicht zwischen Roma, Ashkali und Ägyptern. Dies wurde auch deutlich in den Pogromen von 2004, als 4000 Personen vertrieben wurden, unter ihnen auch Roma, Ashkali und Ägypter. Einige Forscher gehen davon aus, dass von 150.000 RAE, die vor 1990 im Kosovo lebten, nur noch 30.000 übrig sind.
Alle drei Gruppen werden von serbischer wie albanischer Seite als so genannte Zigeuner bezeichnet, aber Ashkali und Ägypter bestehen darauf, sich von Roma zu unterscheiden. Sie beziehen sich auf Albanisch als Muttersprache und andere Traditionen und Gebräuche. Während Roma die Theorie der indischen Herkunft akzeptieren, beziehen sich Ashkali auf eine persische und diverse andere Erklärungsversuche und Ägypter auf Ägypten.
In administrativen, politischen und menschenrechtlichen Dokumenten, so wie in der Verfassung in Bezug auf reservierte Plätze im Parlament, werden sie als eine Gruppe zusammengefasst: die RAE. Ihre ethnische Identität ist jedoch sehr fließend. Auch bei anderen ethnischen Gruppen ist dies zwar festzustellen, da Identität keine essentielle, unveränderbare Kategorie ist, aber im Fall der RAE ist es sehr offensichtlich und verwirrend für Forscher, Politiker und die internationale Gemeinschaft.
Obwohl es viel Sekundärliteratur über Roma oder Zigeuner gibt, gibt es nur Weniges über Roma in Südosteuropa (mit Ausnahme von Rumänien und Bulgarien). Nur einige Artikel und Aufsätze erwähnen überhaupt Ägypter als neues Phänomen, während Ashkali meist im Nebensatz erwähnt werden oder zusammen mit Roma und Ägyptern in Berichten über die humanitäre oder politische Situation im Kosovo. Daher möchte ich in meiner Doktorarbeit die Frage aufwerfen, wieso sie als eine Gruppe zusammengefasst werden und auf welcher Grundlage man sie als drei Gruppen charakterisieren kann. Wie wird von Repräsentanten und Intellektuellen der Community eine Herkunft und Geschichte entwickelt und welche Vorzüge hat die Unterteilung in drei Gruppen? Ich werde auch untersuchen, wie sich RAE organisieren und wie sie von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden.
Das Dissertationsprojekt ist in der Osteuropäischen Geschichte angesiedelt und bezieht sich auf den theoretischen Rahmen der Historischen Anthropologie, die sich auf Mikrogeschichte und Menschen fokussiert. Sie versucht außerdem aufzudecken, welche Machtbeziehungen und Stereotypen hinter den Forschern stehen. Ich werde sowohl Methoden aus der Geschichtswissenschaften (wie Quelleninterpretation) als auch aus den Sozialwissenschaften (Leitfrageninterviews) benutzen.

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Imperiale Herrschaftsausübung im osmanischen und russländischen Reich – die Umsetzung der Modernisierungs- und Integrationspolitik in Südosteuropa und Zentralasien im 19. Jahrhundert

Ulrich Hofmeister, M.A.

Das von der DFG finanzierte Projekt ist in das interdisziplinäre Verbundprojekt "Kulturelle Prozesse und Identitätsdiskurse im östlichen Europa“am Gießener Zentrum Östliches Europa eingebunden. Es richtet den Fokus auf den Zeitraum zwischen 1864 und 1882, als sich das osmanische und das russländische Reich in einer Phase tiefgreifender Reformen befanden, zu deren Zielen die Herausbildung von Reichsidentitäten gehörte. Die damit verbundenen politischen „Elitenprojekte“ werden in der Literatur immer wieder als Osmanisierungs- und Russifizierungspolitik bezeichnet, denen in der Historiographie häufig eine scheinbar einheitliche Zielsetzung zugeschrieben worden ist. Neuere Studien hinterfragen jedoch zunehmend kritisch diese These und verweisen auf unterschiedliche Motive und Methoden, die der Implementierung der jeweiligen Politik zugrunde lagen. Die lokale Ausformung dieser Modernisierungs- und Integrationspolitik soll am Beispiel der 1864 gegründeten Donauprovinz, die als „Modellprovinz“ der osmanischen Tanzimat-Reformer galt, und dem russischen Generalgouvernement Turkestan untersucht werden. In beiden Regionen sahen sich die lokalen mehrheitlich staatsfernen Eliten, die ihre sozio-ökonomisch und machtpolitisch privilegierte Stellung zu bewahren (Turkestan) und auszubauen (Donauprovinz) bemüht waren, mit einer veränderten Politik der Reichszentralen konfrontiert. Das Forschungsvorhaben richtet daher den Fokus auf die Diskurse innerhalb der politischen Führung des jeweiligen Imperiums sowie innerhalb der lokalen Eliten. Von zentraler Bedeutung ist die Frage nach dem Handlungsspielraum der beiden Eliten, der der neuen Politik in den Randgebieten ihre spezifische Ausformung gab. Für den Vergleich bieten sich die Amtszeiten von Midhat Pascha (Gouverneur der Donauprovinz 1864-1867) und Konstantin Kaufman (Generalgouverneur von Turkestan 1867-1882) an, die beide in die Diskurse der politischen Eliten in den Hauptstädten eingebunden waren und die Modernisierungs- und Integrationspolitik gegenüber den lokalen Eliten vertreten mussten.

Wissenschaftliches Netzwerk "Das osmanische Europa - Methoden und Perspektiven der Frühneuzeitforschung zu Südosteuropa"

In den Nationalhistoriographien südosteuropäischer Staaten sowie in der Mehrzahl historischer Studien angelsächsischer und westeuropäischer Provenienz wird die Geschichte Südosteuropas primär nur aus der Perspektive einer wissenschaftlichen Disziplin und häufig auch mit einer bestimmten politisch-ideologischen Zielvorgabe geschrieben. Diesen immer noch stark ausgeprägten Tendenzen in der Geschichtsschreibung über die osmanische Herrschaft in Südosteuropa, die ihren Widerhall auch in den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen in den einzelnen Staaten finden, möchte das Netzwerk entgegenwirken und einen auf einer breiten Quellenbasis beruhenden multiperspektivischen und interdisziplinären Zugang zur frühneuzeitlichen Geschichte Südosteuropas unter besonderer Berücksichtigung der osmanischen Epoche erarbeiten. Das Ergebnis soll in einer Sammelmonographie nicht nur der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

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